02 Juni 2021

Steigende Fallzahlen in der BISS Schaumburg

Im Landkreis Schaumburg haben sich die Befürchtungen bestätigt, dass die Maßnahmen gegen eine Ausbreitung des Coronavirus zu einem Anwachsen von häuslicher Gewalt führen könnten. Dies belegt die Auswertung im Tätigkeitsbericht der Beratungs- und Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt der AWO Schaumburg.

Die Statistik für das Jahr 2020 zählt 301 gemeldete Fälle häuslicher Gewalt und damit einen Zuwachs von 26,5 Prozent gegenüber dem Vorjahr. Davon wurden 259 Fälle von der Polizei übermittelt, 42 Personen meldeten sich selbst oder über Dritte. Die Anzahl der im Haushalt lebenden minderjährigen Kinder betrug 228. 383 Beratungen fanden insgesamt statt. In 256 Fällen waren die von Gewalt betroffenen Personen weiblich, in 45 Fällen männlich. 166-mal ging die Gewalt vom Partner*in aus, 88-mal vom Ex-Partner*in und 47-mal von anderen Personen aus dem sozialen Nah-Raum wie z.B. Eltern, Kindern, Geschwistern o. A.

Da die Beraterinnen in BISS-Stellen in erster Linie eine erste Situationsanalyse und Akutberatung vornehmen und daraufhin gegebenenfalls weitere Hilfestellungen vermitteln, blieb es bei 127 Vorgängen bei einer einmaligen Beratung, 104-mal kam es zu mehreren Kontakten.

In sehr vielen Fällen wurde die Hinzuziehung eines Rechtsanwaltes*in angeraten und/oder eine weiterführende Beratung in der Mädchen- und Frauenberatungsstelle BASTA. Darüber hinaus wurde hauptsächlich weiterempfohlen an die Polizei, an das Gericht zwecks Antragsstellung nach dem Gewaltschutzgesetz, an Ärzte*innen, Frauenhäuser und Opferhilfeeinrichtungen, Männerberatungsstellen, an die Sucht-, Ehe- und Lebensberatung, das Jugendamt und Kinderschutzeinrichtungen sowie Täter*innenberatungsstellen. Auffällig war die Zunahme von Klient*innen in der Altersgruppe über 50 und besonders auch über 70 Jahre.

Auf Rückfrage wurde in den Gesprächen deutlich, dass sich viele Familien durch Kontaktbeschränkungen und Lockdowns in einem in dieser Art nicht vorher gekannten Dauerstress befanden. Es gab zusätzliche Belastungen in einigen Fällen durch Mehrarbeit, in anderen durch Kurzarbeit oder gar Arbeitslosigkeit. Damit einher gingen finanzielle Sorgen und Existenzängste.

Ständige Nähe z.T. in räumlicher Enge, Homeschooling und eine teilweise noch schwierigere Vereinbarkeit von Familie und Beruf sowie der Wegfall von Sport und anderen Freizeitbeschäftigungen führten zu einem höheren Aggressionspotenzial bei verminderten Entlastungsmöglichkeiten.

Darüber hinaus bewirkten Kontaktverbote und Isolation Vereinsamung, Depressionen, diffuse Angstgefühle oder eine allgemeine Perspektivlosigkeit. In diesem Zusammenhang war gerade auch während der ersten Lockdowns zu beobachten, dass Betroffene zusätzlich verunsichert waren und sich noch weniger situations- oder lebensverändernde Schritte zutrauten.

Vor diesem Hintergrund erklärt sich auch die oft berichtete Zunahme von erstmaliger Gewalt und solcher, für die es aus Sicht der Klient*innen zunächst keine erkennbaren Auslöser, keine „Vorwarnung“ gab.

Ebenso kam es zu einem Anstieg von Auseinandersetzungen zwischen Eltern und älteren oder noch in der Familie lebenden erwachsenen Kindern aufgrund unterschiedlicher Bedürfnisse und Gefahreneinschätzungen bezogen auf Corona, teils weil sie die Wohnung nicht verlassen sollten, teils gerade weil sie sie kaum noch verließen. Allgemein führten die veränderten Alltagsbedingen zu einem Anstieg z.T. traumatisierender Belastungserfahrungen bei Kindern und dadurch zu neuen Anforderungen an die elterliche Erziehungskompetenz.

Besonders wirkte sich die Situation auch auf Betroffene aus, die sich aus Angst vor einer Ansteckung oder aufgrund der erschwerten Zugangsbedingungen zum medizinischen Versorgungssystem nach dem Erleben körperlicher Gewalt oder beim Vorliegen chronischer Erkrankungen nicht in medizinische Behandlung begaben.

Positiv fiel auf, dass die Akzeptanz von Beratungsgesprächen im vergangenen Jahr zugenommen hat. Mehr Menschen waren telefonisch persönlich erreichbar und auch froh über die angebotene Kontakt- und Entlastungsmöglichkeit. In diesem Zusammenhang sei auch darauf hingewiesen, dass die im Landkreis Schaumburg im Netzwerk Häusliche Gewalt vorhandenen Unterstützungsangebote weiterhin tätig sind und in Anspruch genommen werden können bei der Suche nach individuellen Lösungen.